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Andacht

Eine Freundin feiert Weihnachten auch in diesem Jahr wieder nicht mit ihrer Familie. Sie ist alleinstehend und fuhr viele Jahre lang über die Weihnachtstage zu ihren Eltern und Geschwistern. Seit ein paar Jahren allerdings nicht mehr. „Ich halte diese Spannungen einfach nicht mehr aus.“, sagt sie. So viel Unausgesprochenes sei da im Raum. Ich verstehe sie. Spannungen in der Familie sind anstrengend und sie werden nur schlimmer, je mehr man versucht, sie zu ignorieren. Für manche Menschen ist die Adventszeit mit Vorfreude verbunden, für andere kommt sie unerbittlich jedes Jahr wieder und weist mit Macht auf all das Unversöhnte hin, was da im eigenen Leben ist. Allerdings: Diese besonderen Wochen mit dem Namen Advent haben, richtig verstanden, auch das Potential, uns mit dem Ungelösten zu helfen. Denn sie sind eine Zeit im Kirchenjahr, die gar nicht harmonisieren will, sondern selbst aus einer Spannung lebt. Advent heißt: Ankunft. In den Texten für unsere Gottesdienste in der Adventszeit geht es um die Ankunft des Messias in der Welt. Und zwar nicht nur um die Ankunft als Kind in der Krippe. Sondern – hier wird es haarig – auch um eine Ankunft, die uns noch bevorsteht: seine Wiederkunft als Richter im endzeitlichen Weltgericht. Der
Advent hat also apokalyptischen Charakter.

andacht1225„Christ, der Retter ist da“, werden wir bald singen. Und zugleich erleben wir schmerzlich: Die Rettung der Welt ist noch nicht vollendet. Sie wird vollendet – so beschreibt es das letzte Buch der Bibel – am Tag, an dem Christus wiederkommtt „zu richten die Lebenden und die Toten.“ Wir leben sozusagen zwischen dem Anfang vom Ende (Jesu Geburt) und dem Ende vom Ende (seiner Wiederkunft). Zwischen Weihnachten und Weltgericht. Mittendrin im Rettungshandeln Gottes. Man kann diese Spannung nicht auflösen. Aus christlicher Perspektive ist sie der Stoff, aus dem das Leben ist. Oder anders gesagt: Unser ganzes Leben ist Advent. Schon gerettet, aber noch nicht erlöst. Man kann das nicht auflösen, aber man kann daraus lernen, am Leben nicht zu verzweifeln. Es wird uns nicht gelingen, alles zu harmonisieren. Und es ist auf Dauer auch keine Lösung, alles Unharmonische aus dem eigenen Leben auszuschließen. Der Rückzug in die Gemütlichkeits-Zimt-und-Nelken-Blase ist manchmal wohltuend und eine gute Auszeit.

Gleichwohl schützt er auf Dauer nicht vor Disharmonien und Konflikten. Vielmehr lädt uns der Advent ein, mit Spannungen in unserem Leben umzugehen, uns ihnen zu stellen, sie zu benennen und dadurch in unseren Beziehungen und mit uns selbst voranzukommen. Nicht ohne Grund sind die Adventswochen als Buß- und Fastenzeit gedacht. Als christliche Gemeinden schöpfen wir die Kraft für das Leben in all seinen spannungsreichen Facetten aus der Gewissheit, dass Gott alles zu einem guten Ende führt. Daran halten wir uns inmitten all der Dinge, die uns anspannen, ängstigen und bisweilen an den Rand der Verzweiflung bringen.

So hält mich persönlich in dieser Zeit die Hoffnung aufrecht, dass der Tag kommt, an dem die Leidenden und Gequälten dieser Erde Gerechtigkeit erfahren werden. Nein, wir beugen uns nicht dem Hass und geben diese Welt der Hoffnungslosigkeit nicht preis! Im Gegenteil: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ (Lukas 21,28)

Ann-Sophie Wetzer