Gemeindeleben

Stadtkirche

Stadtkirche St. Marien

Aus dem frühen 13. Jahrhundert blieb der Westbau erhalten, eine Zusammenführung von niedersächsischem Breitwestturm und romanischer Doppelturmfront. Die Knospenkapitele in den Klangarkaden weisen auf die Jahre um 1220. Als ab 1390 an die Stelle der Basilika eine gotische Hallenkirche gesetzt wurde, öffnete man den Querriegel durch ein Kielbogenportal und schuf zeitgleich das Rosettenfenster. Nach einem Brand am 9. September 1747 wurde der Südturm im Barockstil mit welscher Haube neu errichtet.

Heute erfaßt man bei der Betrachtung der Kirche von der Pfarrstraße aus mit einem Blick eine Baugeschichte von mehr als fünf Jahrhunderten, deren Stilelemente dennoch gut miteinander harmonieren. Steigen wir nun hinab in die gotische Hallenkirche, sind wir überrascht von der Größe und Weite des Raumes. Entgegen sächsischen Traditionen sind die Seitenschiffe nahezu von gleichen Maßen wie das Mittelschiff. In der großen Spannweite der Kappenflächen erkennen wir die Meisterleistung der Gewölbekunst, wenn auch dem Empfinden des ausgehenden 15. Jahrhunderts entsprechend Kreuz- und Sterngewölbe schlicht wirken. Unerschöpflich scheint die Phantasie der Steinmetzen im Maßwerk der Fenster und an der südlichen Emporenbrüstung. Ein Querschiff deutet sich an durch verstärkte Jochbögen, zwei vorgeblendete Säulen, ein dreibahniges Fenster im Norden und den polygonalen Eingangsbereich mit darüber liegender Sängerempore im Süden.

Bei der letzten Restaurierung von 1967 bis 1972 wurden die neogotischen Holzemporen entfernt. Mit der Aufstellung der neuen Schuster-Orgel an der Südwand des Kirchenschiffes ermöglicht man ein gutes Zusammenspiel von Organist, Kantor und Chor, Lektor, Liturg und Gemeinde.

Wir steigen wenige Stufen in den Chorraum hinauf. Über uns finden wir in den Kreuzungspunkten des Rippennetzgewölbes fünf farbig gefaßte Schlußsteine von erhabener Schönheit, die nach Stichen von Martin Schonauer gefertigt wurden: Jesus, der Schmerzensmann, Maria mit dem Jesuskind auf der Mondmuschel, wilder Mann und wilde Frau, dazwischen ein Engel. Die letzten drei tragen sächsische Wappen und dokumentieren damit den nahen Bezug der Marienkirche zum kursächsischen Hof. Von den 16 Altären der vorreformatorischen Zeit ist nur ein Flügel mit der Darstellung des Evangelisten Johannes und Cranachs Tafel der 14 Nothelfer erhalten geblieben.

Der Passionsaltar im nördlichen Chorraum stammt aus der Torgauer Kreuzkirche, die Friedrich der Weise 1492 gestiftet hat, bevor er von hier aus zur Pilgerreise aufbrach. Für den barocken Hauptaltar zeichnete der brandenburgische Hofbildhauer Giovanni Simonetti den ersten Entwurf. Unter seiner Leitung fertigte Santino Caprani gemeinsam mit deutschen Meistern den Altar und stellte ihn 1697 auf. Ein Jahr später wurden die beiden Bildtafeln Abendmahl und Kreuzigung Jesu von Heinrich Sperling eingefügt.

Über viele Generationen diente die Kirche auch als Begräbnisstätte. Ein Verzeichnis des 18. Jahrhunderts führt 61 zum Teil recht wertvolle Grabsteine und Epitaphen im Kircheninneren auf - wie dieses Fragment eines Grabsteines mit der Grabtragung Christi (Sandstein, um 1570/80. Besondere Aufmerksamkeit verdienet heute noch die bronzene Grabplatte der jung verstorbenen Herzogin Sophie von Mecklenburg aus der Hütte Peter Vischer d. Ä. nach einer Zeichnung von Jacopo de Barbari. Berühmter ist jedoch der figürliche Grabstein der 1552 in Torgau verstorbenen Katharina von Bora, der Witwe Martin Luthers, die auf der Flucht vor der Pest hierher mit der Kutsche verunglückte und ihren erlittenen Verletzungen erlag. Der Grabstein wurde 1617 von Wolf Mönch und mit Umschrift und Wappen versehen und erst vor wenigen Jahren restauriert. 

Nach dem großen Sterben im Herbst 1813 wurde die Kirche puristisch umgestaltet, die meisten Grabsteine entfernt und in das Zentrum des Vorchores der Taufstein gestellt. Hans Nicolaus Meyer, ein Torgauer Bildhauer, schuf ihn im Auftrag des Ratsherrn und Apothekers Gottfried Kistenmacher in den Jahren 1692/93. Ebenso aus einer Torgauer Werkstatt, von Georg Wittenberger, stammt die Spätrenaissance-Kanzel. Bemerkenswert ist an dieser u.a. die alte dreiteilige Sanduhr, die den früheren Predigern als Stundenglas diente.

In der unteren Sakristei sieht man eine Abbildung des Torgauer Sippenaltars von Lucas Cranach d. Ä., der sich seit 1906 im Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt/Main befindet. Hier sind auch kostbare Abendmahlsgeräte ausgestellt. Die obere Sakristei, der Dachstuhl und beide Türme lohnen ebenfalls eine ausführliche Besichtigung. [Pfarrer Andreas Rothe]

Weitere Kunstobjekte in der Stadtkirche St. Marien

Die vierzehn Nothelfer

Das Gemälde "Die vierzehn Nothelfer" von Lucas Cranach d.Ä. (1505) ist das bedeutendste heute noch erhalten Stück der Inneneinrichtung.

Die Grabplatte der Herzogin Sophie

Herzogin Sophie von Mecklenburg starb 1503 im Alter von 21 Jahren kurz nach der Geburt ihres einzigen Sohnes, des späteren Kurfürsten Johann Friedrich des Großmütigen. Ihre Grabplatte wurde in der berühmten Nürnberger Werkstatt des Peter Vischer geschaffen. Der Witwer, der spätere Kurfürst Johann der Beständige, ließ zusammen mit seinem Bruder, Kurfürst Friedrich dem Weisen, das Grabmal mit 24 Messingleuchtern und einem Altar, der wenige Jahre später mit Malereien Lucas Cranachs des Älteren ergänzt wurde, ausstatten. Die beiden Brüder stifteten darüber hinaus aufwendige Stundengebete und Messen zu ihrem Gedächtnis. Nach Jahrhunderten sind davon die Grabplatte, zwei messingne Leuchter, mehrere Metall-Wappen von der Umfriedung des Grabmals sowie eine Tafel mit der Darstellung der 14 Nothelfer und des Schmerzensmannes von Lucas Cranach dem Älteren erhalten. Die wunderbare gravierte Metallplatte bedurfte einer dringenden Restaurierung, die mit Hilfe einer Finanzierung der Kirchlichen Stiftung Kunst- und Kulturgut durch einen speziell ausgebildeten Metallrestaurator durchgeführt werden konnte.

Passionsaltar

Der Passionsaltar (aus dem Jahr 1503 oder 1504 von einem unbekannten Maler) stammt aus einer der zur Reformationszeit 21 Kirchen und Kapellen in Torgau und kam während der Reformationszeit, als viele der kleinen Kirchen und Kapellen außer Dienst genommen, abgerissen oder umgewidmet wurden, in die Stadtkirche. Zerstört wurde er am Kriegsende in den Kellerräumen des Schlosses, wo die Kunstgegenstände zum Schutz vor Zerstörung eingelagert waren..

Grablegung Christi

"Grablegung Christi" Gemälde von Michael Eckart, 1608, wahrscheinlich ursprünglich Epitaph-Bild

Altar-Leuchter

Altarleuchter, Silber getrieben, Ende 17. Jahrhundert – von Torgauer Silberschmieden;
teilvergoldet, wahrscheinlich einst für den Hochaltar bestimmt.

Sakristeitür

Vier Schlüssel öffnen die Tür zum Schatz
Zum Tag des offenen Denkmals 2017 wurde in der Stadtkirche St. Marien ein besonderer Schatz der Öffentlichkeit präsentiert: die gotische Sakristei mit ihrem eindrucksvollen Schlössersystem. Ende des 15. Jahrhunderts, als die spätgotische Hallenkirche gebaut wurde, ließen die Bauherrn für die Sakristei eine Tür bauen, die bis heute höchsten Sicherheitsanforderungen genügt. Vier Schlüssel waren nötig, die wohl von verschiedenen Personen aufbewahrt und gehütet wurden, um die Tür zu öffnen und an die hier gelagerten Kirchenschätze, zum Beispiel das Altarsilber, heranzukommen. Steht man heute vor der Tür, sieht man ein schwarzes, mit Eisenbeschlägen überzogenes Türblatt-Schlüsselloch. Ein erstes kommt zum Vorschein, wenn man den Türknauf nach rechts schiebt. Hat man nun den passenden Schlüssel, öffnen sich zwei weitere Schlüssellöcher an anderer Stelle hinter den Beschlägen, für die man gleich zwei verschiedene Schlüssel braucht, da sowohl Schlösser im als auch hinter dem Türblatt die Tür verriegeln. Aber selbst wenn man diese erfolgreich entriegelt hat, öffnet sich nicht die Tür, sondern nur zwei weitere Schlüssellöcher, die den dritten Schlüssel erfordern.

Nach etwa 200 Jahren war den Nutzern das System wohl zu kompliziert, sodass man noch ein viertes Schloss, das eine ganz normale Klinke hat, hinzufügte – auch eine zweite Sakristeitür wurde in die Wand gebrochen, sodass der Tresor-Charakter verloren ging. Im Zuge einer Restaurierungsmaßnahme wurde die gotische Tür vom Kunstschmiedemeister Holger Schlegel aus Dresden gründlich restauriert. Er erforschte den äußerst komplizierten Schließmechanismus und brachte ihn wieder in Gang. Dabei was das größte Problem das Fehlen sämtlicher Schlüssel. Sie mussten in einem umständlichen Verfahren von Hand neu hergestellt werden. Nur eine einzige vergleichbare Tür ist in Fachkreisen heute noch bekannt – in einer Kirchenburg in Siebenbürgen. Auch in Torgau wird sie wohl nicht jeden Sonntag geöffnet werden, aber zu besonderen Anlässen kann man dieses Kunstwerk der besonders sicheren Art bewundern. [Christiane Schmidt | Foto: Wolfgang Sens]